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  • AutorenbildLara

Schmerzphysiologie: Teil 1

Aktualisiert: 21. Juni 2021

Was ist Schmerz?

  • Eine unangenehme sensorische und emotionale Erfahrung im Zusammenhang mit einer tatsächlichen oder potentiellen Gewebeschädigung.

  • Schmerz ≠ Nozizeption*!


Was ist Nozizeption?

*Lorimer Moseley nutzt statt Nozizeptoren oder Schmerzrezeptoren in seinen Talks gern "danger receptors" und das macht es leichter verständlich!

  • Nozizeption sind ledigleich Reize, die potenziell das Gewebe schädigen könnten und deshalb weiter geleitet werden, also kann man sie sich als "Gefahrensignale" und "Gefahrensensoren" vorstellen.


Was passiert im Falle einer akuten (tatsächlichen) Gewebsschädigung?

  1. Verletzung/ Noxe/ nozizeptiver (Gefahren-) Reiz

1. Lokal: 2. ZNS (sh. weiter unten)

Es kommt zur neurogenen Entzündung, dh: Entzündungs-

mediatoren (in Form einer "Entzündungssuppe") werden

ausgeschüttet. Quasi der "Kickstarter" der gesamten Ent-

zündungsreaktion.

Teil 1/2 der neurogenen Entzündung:

- Calzitonin gene related peptide (CGRP) macht eine Gefäß-

dilatation und sorgt damit für Wärme und Rötung.

- Substanz P erhöht die Gefäßpermeabilität und es kommt

zur Schwellung

öffnet die präkapillaren Sphincter und es kommt

zur Mehrdurchblutung und zur Rötung.

Substanz P wird auch im Hinterhorn des Rückenmarks aus-

geschüttet, setzt Histamin aus den Vesikeln der Synapse frei

und spielt eine wichtige Rolle in der "Sensibilisierung".

- Eine Immunreaktion wird vorbereitet (Immunzellen strömen

ein) und im Fall einer tatsächlichen Gewebeschädigung

beginnen Blutgerinnung & Co.

Teil 2/2 der neurogenen Entzündung:

- Axonreflex: Ist eigentlich kein Reflex, aber umliegende freie

Nervenendigungen depolarisieren (kein Reflex, weil das ohne

synaptische Übertragung passiert) zeitgleich und machen das

gesamte Gebiet empfindlicher.


→ Alles was bisher geschah, passiert unabhängig von der Schmerzempfindung! Man kann dabei Schmerzen verspüren, muss man aber nicht! Wie kann man sich das vorstellen: Hattest du jemals einen blauen Fleck oder einen Kratzer und wusstest nicht genau wie der dahin kam? → neurogene Entzündung ohne Schmerz!


2. ZNS:

Die sensorische Gefahren-Information wird über A-delta und C-Fasern zum Hinterhorn des Rückenmarks geleitet und je nachdem was für Nozizeption hier ankommt, kann das zB. einen Fluchtreflex auslösen.

Vom Hinterhorn wird die Erregung dann weiter nach cranial geleitet, über die protopathische Bahn (Tractus spinothalamicus) und von hier geht die Info dann zum Thalamus & wenn sie "wichtig genug" ist, erreicht sie den Gyrus Postcentralis.

Unterwegs gibt es verschiedene Hindernisse und Prozesse, die mit einfließen und entscheidend dafür sind, ob Schmerz empfunden wird oder nicht.


Was ist eine primäre Hyperalgesie?

  • Nach einer Gewebsschädigung wird die Reizschwelle (ihr kennt sie als "Alles oder Nichts" Schwelle, u.a. durch Substanz P herabgesetzt. Das heißt auch weniger intensive Reize werden weitergeleitet, obwohl sie keine tatsächliche Gefahr darstellen; Beispiel: Wenn man auf einen Sonnenbrand fasst oder die Kleidung daran reibt. Ich glaube wenn ihr jetzt gerade mal überlegt, könnt ihr euren BH oder euer T-Shirt nicht spüren, ich hatte vor ein paar Wochen allerdings Sonnenbrand an den Schultern und konnte drei Tage nicht mal einen BH tragen → ein ungefährlicher Reiz wird trotzdem als Nozizeption weitergeleitet und tut weh. Wenn man überlegt macht das absolut Sinn als Schutz vor weiterer Gewebsschädigung oder um das schädigende Verhalten einzustellen (Sonnencreme und Schatten ahoi!).

  • Was passiert außerdem? Sensibilisierung passiert nicht nur über das Herabsetzen der Reizschwelle, es kommt zusätzlich zum Aussprießen von mehr Nozizeptoren (Gefahrensensoren) und freien Nervenendigungen.


Was ist eine sekundäre Hyperalgesie?

  • Ähnlich wie eine primäre Hyperalgesie kommt es hier zu einer Sensibilisierung, allerdings nicht lokal in der Preipherie sondern im Hinterhorn des Rückenmarks. Eine sekundäre kann Hyperalgesie ohne eine primäre Vorliegen.

  • Wie auch schon bei der primären Hyperalgesie gibt es verschiedene Prozesse, die hier ablaufen. Zu allererst sprießen auch hier mehr Gefahrensensoren aus und die Reizschwelle wird herabgesetzt, gleichzeitig gelten wie immer die Prinzipien der Neuro (use it or lose it & nerves that fire together, wire together), das bedeutet, dass Synapsen & Wege, die häufig genutzt werden, ausgebaut werden und effizienter werden. Das bedeutet das Schmerz "erlernbar" ist, und nicht immer physiologisch. (Denn das ist Schmerz ja eigentlich, ein physiologischer Schutzmechanismus).

  • Weitere Möglichkeiten sind: Neuentstehung von Synapsen, die vorher nicht da waren; genetische Veränderungen von Synapsen und Neuronen & schnellere Freisetzung von Neurotransmittern wie Glutamat.

Wie kann man Schmerz unterscheiden?

1. Nozizeptiver Schmerz 2. Nicht-nozizeptiver Schmerz


a) "Potenzieller" Schmerz b) "Tatsächlicher" Schmerz


c) "Neuropathischer" Schmerz (direkt aus dem Nervensystem)


a) Potenzieller Schmerz

  • Damit meine ich zB. Reflexverhalten aufgrund nozizeptiver Impulse, die bis zum Rückenmark gelangen. Das beste Beispiel ist hier vermutlich das "auf die Herdplatte fassen". Ein nozizeptiver Reiz wird weitergeleitet und die Reaktion passiert schon bevor überhaupt ein Schmerz bewusst wird/ empfunden wird. Manchmal passiert das auch obwohl weder Gewebe zerstört wird, noch ein Schmerz empfunden wird (Schonmal weggezuckt und dann erst gesehen, dass der Herd gar nicht an war?).

  • Hier entsteht NICHT das Gefühl von Schmerz, dafür muss die Info erst ans Gehirn!

b) Tatsächlicher Schmerz

  • Geht nicht ohne Gehirn! Es laufen dieselben Prozesse ab, wie bei a), aber zusätzlich gelangt die Info vorbei am Hirnstamm, dem Thalamus, dem limbischen System bis hoch zum Gyrus Postcentralis wo "entschieden" wird, dass ein Schmerzgefühl notwendig bzw. angemessen ist.

a) + b) → auch "somatischer Schmerz".


c) Nicht-nozizeptiver Schmerz

  • Stammt direkt aus dem Nervensystem, hat also keinen peripheren Auslöser. Deshalb allgemein auch als "neuropathischer Schmerz" bekannt.

  • Hierunter fällt zB. auch "referred pain", bekannte Vertreter sind zB. die Brust-, Schulter- oder Oberbauchschmerzen beim Herzinfarkt.


Was ist "referred pain"?

  • Übersetzt ungefähr: "übertragener Schmerz"

  • Ursprungsort ≠ Ort der Empfindung → was bedeutet das? Wenn ich auf einen Lego trete und alle Prozesse aus 1a) und b) ablaufen wird der Schmerz an der Stelle empfunden, wo auch der Lego ist (oder war). Beim "übertragenen Schmerz" ist das anders.

  • Referred pain kreuzt in der Regel nicht die Körpermittellinie und bleibt auch im Segment (die Bindegewebsmassage argumentiert zB. gern mit Theorien, die auf diesen Grundlagen beruhen, es handelt sich bei solchen Behandlungskonzepten allerdings meist nur um wenig untersuchte Hypothesen, also hinterfragen).

  • Häufig übertragen Strukturen mit einer geringen Innervationsdichte die Schmerzen auf nahegelegene Orte mit einer hohen Innervationsdichte. Beispiel Herzinfarkt: Das Herz hat eine geringe Innervationsdichte was Nozizeption angeht & das Gehirn kann dann nicht richtig zuordnen wo das Problem liegt. Vor allem wenn an diesem Organ vorher noch nie Nozizeption gemeldet wurde (1. Herzinfarkt). Nachdem alle oben beschriebenen Prozesse abgelaufen sind, wird ein Schmerzsignal gesendet, aber das wird auf die Schulter übertragen, weil die eine viel höhere Menge an Nozizeptoren hat.

ACHTUNG: Projizierter Schmerz ist wieder was anderes! (🙄)

Was ist projizierter Schmerz?

  • Der Ursprungsort liegt irgendwo im Verlauf des (betroffenen) Nervs. Beispiele sind Nervenengpasssyndrome wie das Piriformissyndrom.

  • Bsp: ein Nerv wird irgendwo geschädigt, zB. komprimiert. Wahrgenommen wird der Schmerz dann allerdings peripher am distalen "Ende" des Nervs, an den freien Nervenendigungen.


Zur körpereigenen Hemmung und Modulation von Schmerzen, gibt es einen separaten Blogpost.


Meine Quellen hierzu bisher (Stand 20.06.21) sind:

  • Amboss (Nozizeptives System)

  • DocCheck (diverse Artikel zum Thema Schmerz)

  • Mein Podcast Interview mit Christoph Schwertfellner von BEST

  • Spektrum.de

  • Diverse Talks von Lorimer Moseley und "Explain Pain" von ihm und David Butler.

  • Die Unterlagen aus meinen eigenen Vorlesungen/ Unterricht.

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