→ Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems
→ chronisch entzündlich
→ führt zur Demyelinisierung und zur Schädigung von Axonen
→ die häufigste neurologische Erkrankung die bei jungen Erwachsenen zu bleibender Behinderung führt.
→ abgekürzt MS, auch: Encephalomyelitis disseminata,
Pathogenese:
Das eigene Immunsystem greift das Myelin des ZNS an, was wiederum zu einer chronischen Entzündung führt. Die Ursache ist unbekannt, aber es kommt zu einer Aktivierung von myelinreaktiven, falsch geprägten T-Lymphozyten. Diese Zerstören das Myelin sofort und "bestellen" B-Zellen. Es kommt zur Demyelinisierung der weißen Substanz, Vernarbungen der Gliazellen/-hüllen und zu einer gestörten Erregungsweiterleitung. Diese Immunreaktion bezeichnet man im Pathogenetischen Dreieck (sh. Ursache) als Immunologischen Faktor.
Häufig betroffen sind: Pyramidenbahn (Willkürmotorik), Hinterstrangbahn (Sensibilität), Nervus opticus & die Augenmuskelkerne und Kleinhirn (Koordination).
Vorkommen:
Frauen > Männer
Beginn meist zwischen 25-35 Jahren, häufigstes Vorkommen insgesamt zwischen 45-50 Jahren
Je weiter weg vom Äquator, desto höher das Auftreten (In der westlichen Welt am häufigsten)
Ursache:
Unbekannt! Vermutlich mulitfaktoriell:
Das Pathogenetische Dreieck:
Immunologisch + Genetisch + Prädisponierende externe und interne Faktoren. Zu den Externen Faktoren zählen zB Infektionen, Vitamin D Mangel, Rauchen, Risikofaktoren von Autoimmunerkrankungen generell. Auch diskutiert wird der Einfluss der Darmflora, sowohl die Bevölkerung durch Darmbakterien aber auch die Durchlässigkeit und die Verbindung des Darms zum ZNS.
Diagnostik:
Labor (Liquoruntersuchung,..)
MRT, CT
SEP, VEP, AEP & MEP,... (was das genau ist, ist hier schön beschrieben)
Verlaufsformen:
Akut (rasch progredient)
Schubförmig (remittierend, häufigste Form) Zwischen den Schüben kommt es nicht zur Verschlechterung und die Symptome gehen komplett oder teilweise zurück nach den einzelnen Schüben. (Definition Schub sh. unten)
Chronisch progredient (primär: Zustand verschlechtert sich ohne "Schübe", und sekundär: im Anschluss an eine schubförmige MS)
→ wir als PTs müssen das nicht diagnostizieren, allerdings kann das in der Patientenakte so stehen und kann auch die Therapieplanung bzw. den Erfolg maßgeblich mitbestimmen.
→ Differentialdiagnose KIS
(Klinisch isoliertes Syndrom oder CIS: Clinically isolated syndrome)
Neurologische Ausfälle (sensibel, motorisch, ...) die länger als 24h anhalten und ihren Höhepunkt meist ein paar Wochen später haben. 60-80% entwickeln innerhalb der 20 Jahre danach eine MS (Quelle). Kann aber auch ohne Folgeschäden/ Erkrankung verlaufen! Eine MS ist hier nicht diagnostizierbar. Risikofaktoren, die zu einer Konversion führen können: Rauchen, Vitamin D Mangel, Vorliegen des Humanen Leukozyten Antigen
Was ist ein Schub?
Verschlechterung der Symptome, Auftreten neuer Symtome oder Wiederauftreten von alten Symptomen, die länger als 24h anhalten. Diese dürfen nicht durch eine Infektion oder das Uhthoff-Phänomen zu erklären sein. Das Uhthoff Phänomen beschreibt eine vorübergehende Verschlechterung der Sehleistung aufgrund von Überanstrengung oder einer zu hohen Körpertemperatur.
Prognose:
Patienten sind meist 30-40 Jahre lang daran erkrankt, ihre Lebensdauer ist um durchschnittlich 6-10 Jahre verkürzt. Die häufigsten Todesursachen sind hier Sepsis, Lungenentzündung und Blasenentzündung. Aufklärung und Atemtherapie können also wichtig sein um das zu verhindern/ rauszuzögern.
Therapie:
Ärztlich: Immunsuppressiva und Entzündungshemmer, entweder präventiv regelmäßig oder auch während eines akuten Schubes Symptomatische Medikamentengabe
Ernährung: Supplementation mit Vitamin D, Probiotika, Entzündungshemmende Ernährungsweise (Omega 3 ↗), Ketogene Ernährung (generell ja umstritten, hier eine Theorie aufgrund der Mitochondrien-Theorie → wer da mehr lesen will, dem empfehle ich zB. Physiopedia)
Im Schub: Bettruhe, danach Physiotherapie: sh. unten
Hilfsmittelversorgung (Rollstuhl, Orthesen,..)
Mögliche PT-Befunde:
Allgemeine Befundtechniken in der Neurologie findet ihr hier!
Sensibilitätsstörungen: Oberflächensensibilität (Taubheit, gestörtes Temperaturempfinden, Missempfindungen was spitze/stumpfe Gegenstände angeht), Tiefensensibilität (Lage der Extremität/ des Körpers im Raum, Gelenkstellung, Bewegungsempfinden, Vibrationssinn), außerdem Parästhesien und ein positives Lhermitte-Zeichen (beim passiven nach vorn beugen des Kopfes, kommt es aufgrund der Dehnung der Meningen zu Parästhesien; ist NICHT dasselbe wie Meningismus). → Treten meist an Extremitäten auf, aufgrund von Anlagerung von Plaques und Vernarbungen an den Hinterstrangbahnen des Rückenmarks.
Spastiken: Kann ausgelöst werden durch starke Reize: Bewegung, Anspannung/ Emotionen, Überlastung, Schmerz, Kälte, ... → Ursache hier oft Anlagerung von Plaques und Vernarbungen an der Pyramidenbahn Es kann hier noch zwischen einer spinalen und einer zerebralen Spastik unterschieden werden.
Paresen (Unterscheidung zwischen "echten", "spastischen" und "sekundären" Paresen, vor allem die Befundung/ Behandlung der "echten" Parese wir häufig vernachlässigt/ nicht gezielt durchgeführt. In einigen Fällen sind isometrische Tests am besten geeignet.
Ataxien: tritt häufig im Verlauf der Erkrankung auf, selten als Initialsymptom. Koordinationsschwierigkeiten von Bewegung (räumlich und zeitlich), intermuskulär (zB beim Wechseln zwischen Agonist und Antagonist), Intentionstremor, Blickrichtungsnystagmus, motorische Sprachstörungen,, Dysdiadochokinese, Störungen der posturalen Kontrolle und des Ganges
Veränderung des Gangbildes: abgesehen von Fußheberschwächen, allgemeiner Schwäche und Gangataxien, kann man bei einigen Patienten eine vergrößerte Spurbreite, verkürzte Schrittlänge und reduziertes Gangtempo finden
Fatigue: oft das "störendste" Symptom für Patienten!! Antriebslosigkeit, Ernergimangel (schon nach leichten Belastungen), dauerhaftes Müdigkeitsgefühl, Schwäche und Abgeschlagenheit, die im Tagesverlauf schlimmer werden (Patienten können oft am besten einschätzen welche Uhrzeit für die Therapie geeignet wäre & wann sie i.d.R. mit Fatigue zu tun haben! → Ursachen können Schlafstörungen, Nebenwirkungen von Medikamenten, Störungen der Motorik und ein dadurch höherer Energiverbrauch, Depressionen, autonome Funktionsstörungen u.ä. sein.
Schwäche; Kraftverlust in den Beinen
Kopfschmerzen, Gliederschmerzen (auch nervale Schmerzen)
Defizite des Kurzzeitgedächtnisses
Depressionen, Angststörungen
Sprach- und Schluckstörungen
Gestörtes Gleichgewicht/ Einschränkungen der posturalen Kontrolle
Verdauungs- und Miktionsstörungen (Konstipationen, Durchfall, Drangblase, Inkontinenz,...)
Sexuelle Funktionsstörungen: Impotenz, verringerte Libido, Schwierigkeiten einen Orgasmus zu erreichen
Konzentrationsschwierigkeiten
Das Auftreten und die Ausprägung von Symptomen ist von Patient zu Patient unterschiedlich, weswegen man MS auch als die Krankheit der 1000 Gesichter bezeichnet.
→ Ziel der Befundung ist ein Einschätzen der Selbstständigkeit des Patienten und der körperlichen Leistungsfähigkeit um eine ideale Hilfsmittelversorgung und Alltagsbewältigung zu ermöglichen und den Patienten befundgerecht therapieren zu können.
PT-Ziele:
Reduzierung des pathologischen Hypertonus (Spastik)
Verbessern der Posturalen Kontrolle zur selbstständigen Alltagsbewältigung (Sitz, Transfer, Gang,...)
Förderung des Selbstmanagement in Umgang mit Schmerzen, Fatigue und motorischen Störungen wie Spastiken/Paresen
Schmerzmanagement durch PT (Ultraschall, Bewegungstherapie, Hydrotherapie,...)
Prävention von Folgeschäden: Training zum Erhalt von Muskelmasse, Reduzieren der Sturzgefahr, Atemtherapie zur Pneumonieprophylaxe, generell auch Thrombose- und Dekubitus- und Kontrakturprophylaxe wenn Patienten vermehrt liegen oder die spastische Extremitäten haben.
Erhalt der Thoraxbeweglichkeit mit besonderem Augenmerk (zählt an sich ja auch zu Pneumonieprophylaxe)
Verbesserung der globalen und lokalen Ausdauer (mehr dazu in der Kategorie TL)
Verbesserung der Stimmung, Fördern von sozialer Interaktion (zB in Gruppentherapien, Sport generell)
Aufklären über andere Anlaufstellen in der Therapie um interdisziplinäre Arbeit zu optimieren: Verhaltenstherapie, Ergotherapie, Logotherapie,... alles was beim jeweiligen Patienten indiziert sein kann.
Erhalt und/ oder Verbesserung der Propriozeption und Exterozeption
Erhalt und/ oder Verbesserung der Beweglichkeit
Vermeiden von Stürzen
Schulen von ökonomischem Bewegungsverhalten (Ziel von "Ökonomie" ist immer Energieverlust und Verschleiß reduzieren) und verhindern von pathologischen und abnormalen Bewegungsmustern
Verbessern der Koordination (und Tonusaufbau) bei Ataxie
Erhalt oder Verbesserung der Kraftfähigkeit (bei Paresen)
Maßnahmen & Beachtepunkte:
CAVE:
Je nach Stadium und Tagesform sollte die Therapie kurz gehalten werden, vielleicht stattdessen mehrmals täglich! Wichtig ist: keine Erschöpfung!
Fatigue-Management: Kurze Behandlungszeiten, lange und häufige Pausen, Fatigue Kalender führen, langfristig: Steigern der lokalen und globalen Ausdauer über Training
Förderung der Oberflächen- und Tiefensensibilität: Desensibilisieren & Hyposensibilitäten anregen (Bürstungen, Kryotherapie, Abreibungen, taktile Reize mit anderen Geräten/ Materialien, Traktion/ Approximation, Variationen was die Unterstützungsfläche angeht: Labilisierung, …)
Steigerung der Muskelkraft (Paresen): Üben in funktionellen Bewegungsübergängen/ Transferschulungen, bekannte Muster (ADL, Irradidation), PNF, Bobath, Brunkow/ ADT, Vojta: Stützaktivitäten, Gang, Treppe, Gewichtsverlagerungen bei Transfer, Sitz: Gewichtsverlagerungen, beschleunigte Armgewichte, Pendeln,…
Reduzierung des pathologischen (spastischen) Hypertonus: niedrige ASTE wählen, viel Unterstützungsfläche; Bewegung sollte langsam, rhythmisch, entgegen dem spastischen Muster sein (eventuell auch gehalten) Längsdehnungen, Eigen- und gehaltene Dehnungen, Querdehnungen, Quermassage, Desensibilisierung (sh. 2.; Taktile Reize, Bürstungen, Querfriktion,…), Approximation, Gegenbewegungen, Widerlagern, Arbeit auf der großen Therapierolle (Adduktoren werden gehemmt, trotzdem kann man gut an der Rumpfstabilität arbeiten)…
Förderung der Koordination: ASTE steigern, Unterstützungsfläche verringern, geringe Widerstände, kontrollierte Bewegungsausmaße, Variieren von Muskelarbeitsweisen (ex- und konzentrisch), Verringern von Kompensation (wie festhalten usw), Rumpfstabilität muss der Stützaktivität vorausgehen & erst danach kann zielgerichtete dynamische Bewegung kommen, langsame Bewegung Tapping und Streichen als Fazilitation, Arbeit am Transfer (ADL, Bewegungsübergänge, sh. Paresen), Gewichtsverlagerung in verschiedenen ASTEn, Sensibilität verbessern (Sensomotorische Regelkreisläufe!! sh. BL), MTT (befundspezifisches Training)
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