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Karpaltunnelsyndrom (KTS)

Aktualisiert: 15. Nov. 2021

Dieser Gastbeitrag ist von MoveYourMind :)

  • Gehört zu den häufigsten Kompressionssyndromen peripherer Nerven

  • Beim KTS kommt es zu einer dauerhaften Druckschädigung des N. medianus innerhalb des osteofibrösen Karpaltunnels

Epidemiologie:

  • Etwa 10% der deutschen Bevölkerung sind betroffen

  • Frauen erkranken 3-4x häufiger als Männer

  • In 80% der Fälle treten die Beschwerden beidseitig (zeitversetzt) auf


Ursachen und Differentialdiagnostik:

  • Familiäre Disposition

  • Dauerhafte Überlastung durch manuelle Tätigkeiten

  • Hypertonus/Hypertrophie der Unterarmflexoren, des M. biceps brachii (der N. medianus zieht unter dem Lacertus fibrosus der Bizepssehne hindurch) oder des M. pronator teres (Pronator-teres-Syndrom)

  • Tumorähnliche Raumforderungen (Ganglion im Bereich oder am Rand des Karpaltunnels)

  • Traumatische Luxation eines Handwurzelknochens (häufig ist das Os lunatum betroffen) oder Frakturen im Unteram-/Handbereich (distale Radiusfraktur)

  • Veränderungen des Hormonhaushaltes und in Verbindung mit Ödemen (Schwangerschaft, Klimakterium, Hypothyreose)

  • Tendovaginitis des 3. palmaren Sehnenfachs (führt die Sehnen der Mm. flexor digitorum superficialis und profundus)

  • Rheumatische oder metabolische Erkrankungen (rheumatoide Arthritis, Diabetes mellitus)

  • Thoracic-Outlet-Syndrom

  • Radikulopathien der Halswirbelsäule

  • Polyneuropathie

Symptome/Klinik:

  • Einschlafgefühl der Hand/Finger, vor allem nächtliche schmerzhafte Missempfindungen (Brachialgia paraestetica nocturna) im Versorgungsgebiet des N. medianus (besonders Finger 1-3)

  • Durch Ausschütteln der Hand sind die Symptome reduzierbar

  • Morgensteifigkeit und Schwellung der Finger/Hand

  • Im fortgeschrittenen Stadium kann es zudem zu sensomotorischen Ausfällen sowie zu einer Atrophie des Daumenballenmuskulatur kommen

Diagnostik/Befund:

  • PT-Tests:

Hoffmann-Tinel-Zeichen: Den Karpaltunnel in leicht vorpositionierter Dorsalextension der Hand mehrfach mit den Fingern beklopfen

Phalen-Test: Patienten sollen ein oder beidseitig aktiv ihr Handgelenk für mindestens eine Minute flektieren

Durkan-Test: Der Therapeut komprimiert den Karpaltunnel für etwa 30 Sekunden mit beiden Daumen, hierbei befindet sich der Ellenbogen des Patienten in Extension, der Unterarm in Supination und das Handgelenk in ca. 60° Palmarflexion.

Die Tests gelten als positiv, wenn sie die für den Patienten typischen Parästhesien reproduzieren. Die Ergebnisse der einzelnen Tests sollten Therapeuten dabei nicht isoliert, sondern in ihrer Gesamtheit in Form eines Testclusters interpretieren.

  • Überprüfung der Sensibilität (Semmes-Weinstein Test, Zwei-Punkt-Diskrimination)

  • Überprüfung der Motorik (Flaschenzeichen, Schwäche der Abduktion und Opposition des Daumens)

  • Evaluation von Alltagseinschränkungen und zur OutcomeMessung: Boston Carpal Tunnel Questionnaire (BCTQ) und Disabilities of Arm, Shoulder and Hand Questionnaire (DASH)

  • Elektrophysiologische Messung der Nervenleitgeschwindigkeit und Elektromyographie der Daumenballenmuskulatur im Spätstadium

  • Sonographie


Therapie:

Ärztlich:

  • Schmerzmedikamente (NSAR)

  • Injektion von Kortison oder orale Kortisongabe

  • Operative Retinaculum flexorum-Spaltung


Konservativ/Physiotherapie:

  • Edukation (Modifikation von provozierenden Haltungen, ergonomische Beratung, Grafomotorikschulung)

  • Tragen einer Nachtlagerungsschiene (Hand in Neutralstellung)

  • Manuelle Lymphdrainage bei bestehenden Ödemen

  • Lokale Ultraschalltherapie, Phonophorese und Interferenzstrom

  • Manuelle Therapie (Mobilisation der Handwurzelknochen und des Handgelenks)

  • Weichteiltechniken und Dehnung: Unterarmflexoren und das Retinaculum flexorum sowie im Bereich möglicher Entrapments (Skalenusmuskulatur, M. pectoralis minor, Bicepsaponeurose, M. pronator teres)

  • Aktive Bewegungsübungen (Kräftigung der Unterarmextensoren)

  • Nervenmobilisation/Neurodynamische Techniken (Slider- und Tensioner-Techniken in der entsprechenden Position des Upper Limb Neurodynamic Test = ULNT 1 bzw. 2a)

Evidenzbasierte Anmerkungen:

  • Konservative Maßnahmen (bestehend aus einer Schienenversorgung, Edukation, Manueller Therapie und Bewegungsübungen) sollten immer Vorrang haben

  • In Bezug auf die genannten Maßnahmen fanden Fernández-de-Las Peñas et al. in ihrer Studie heraus, dass eine Operation zu keinem Zeitpunkt (1, 3, 6, 12 Monate) der Manuellen Therapie (3 Behandlungen zur Desensibilisierung und Neuromobilisation des N. medianus) überlegen war

  • Auch ein Follow-up nach 4 Jahren konnte zeigen, dass beide Verfahren gleich wirksam sind, darüber hinaus weist die Manuelle Therapie eine höhere Kosteneffektivität auf

  • Operative Eingriffe sollten bei Patienten nur dann vorgenommen werden, wenn diese eine Atrophie der Thenarmuskulatur aufweisen bzw. bereits erfolglos konservativ therapiert wurden


Quellen:

Erickson M, Lawrence M, Jansen CWS et al. Hand pain and sensory deficits: Carpal tunnel syndrome. J Orthop Sports Phys Ther 2019; 49: CPG1–CPG85

JOSPT. Carpal tunnel syndrome: A summary of clinical practice guideline recommendations – Using the evidence to guide physical therapist practice. J Orthop Sports Phys Ther 2019; 49(5): 359 – 360

Klokkari D, Mamais I. Effectiveness of surgical versus conservative treatment for carpal tunnel syndrome: A systematic review, meta-analysis and qualitative analysis. Hong Kong Physiother J 2018; 38(2): 91–114

Lewis KJ, Coppieters MW, Ross L et al. Group education, night splinting and home exercises reduce conversion to surgery for carpal tunnel syndrome: A multicentre randomised trial. J Physiother 2020; 66(2): 97–104

Fernández-de-Las-Peñas C, Ortega-Santiago R, de la Llave-Rincón AI et al. Manual physical therapy versus surgery for carpal tunnel syndrome: A randomized parallel-group trial. J Pain 2015; 16: 1087–1094

Fernández-de-Las-Peñas C, Aria-Buría JL, Cleland JA et al. Manual therapy versus surgery for carpal tunnel syndrome: 4- year follow-up from a randomized controlled trial. Phys Ther 2020; 100(11): 1987–1996

Fernández-de-Las-Peñas C, Ortega-Santiago R, Saddi Díaz HF et al. Cost-effectiveness evaluation of manual physical therapy versus surgery for carpal tunnel syndrome: Evidence from a randomized clinical trial. J Orthop Sports Phys 2019; 49(2): 55–63

Shem K, Wong J, Dirlikov B. Effective self-stretching of carpal ligament for the treatment of carpal tunnel syndrome: A double-blinded randomized controlled study. J Hand Ther 2020; 33: 272–280

Paquette P, Higgins J, Gagnon DH. Peripheral and central adaptations after a median nerve neuromobilization program completed by individuals with carpal tunnel syndrome: An exploratory mechanistic study using musculoskeletal ultrasound imaging and transcranial magnetic stimulation. J Manipulative Physiol Ther 2020; 43(6): 566–578

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