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Gehört zu den häufigsten Kompressionssyndromen peripherer Nerven
Beim KTS kommt es zu einer dauerhaften Druckschädigung des N. medianus innerhalb des osteofibrösen Karpaltunnels
Epidemiologie:
Etwa 10% der deutschen Bevölkerung sind betroffen
Frauen erkranken 3-4x häufiger als Männer
In 80% der Fälle treten die Beschwerden beidseitig (zeitversetzt) auf
Ursachen und Differentialdiagnostik:
Familiäre Disposition
Dauerhafte Überlastung durch manuelle Tätigkeiten
Hypertonus/Hypertrophie der Unterarmflexoren, des M. biceps brachii (der N. medianus zieht unter dem Lacertus fibrosus der Bizepssehne hindurch) oder des M. pronator teres (Pronator-teres-Syndrom)
Tumorähnliche Raumforderungen (Ganglion im Bereich oder am Rand des Karpaltunnels)
Traumatische Luxation eines Handwurzelknochens (häufig ist das Os lunatum betroffen) oder Frakturen im Unteram-/Handbereich (distale Radiusfraktur)
Veränderungen des Hormonhaushaltes und in Verbindung mit Ödemen (Schwangerschaft, Klimakterium, Hypothyreose)
Tendovaginitis des 3. palmaren Sehnenfachs (führt die Sehnen der Mm. flexor digitorum superficialis und profundus)
Rheumatische oder metabolische Erkrankungen (rheumatoide Arthritis, Diabetes mellitus)
Thoracic-Outlet-Syndrom
Radikulopathien der Halswirbelsäule
Polyneuropathie
Symptome/Klinik:
Einschlafgefühl der Hand/Finger, vor allem nächtliche schmerzhafte Missempfindungen (Brachialgia paraestetica nocturna) im Versorgungsgebiet des N. medianus (besonders Finger 1-3)
Durch Ausschütteln der Hand sind die Symptome reduzierbar
Morgensteifigkeit und Schwellung der Finger/Hand
Im fortgeschrittenen Stadium kann es zudem zu sensomotorischen Ausfällen sowie zu einer Atrophie des Daumenballenmuskulatur kommen
Diagnostik/Befund:
PT-Tests:
Hoffmann-Tinel-Zeichen: Den Karpaltunnel in leicht vorpositionierter Dorsalextension der Hand mehrfach mit den Fingern beklopfen
Phalen-Test: Patienten sollen ein oder beidseitig aktiv ihr Handgelenk für mindestens eine Minute flektieren
Durkan-Test: Der Therapeut komprimiert den Karpaltunnel für etwa 30 Sekunden mit beiden Daumen, hierbei befindet sich der Ellenbogen des Patienten in Extension, der Unterarm in Supination und das Handgelenk in ca. 60° Palmarflexion.
Die Tests gelten als positiv, wenn sie die für den Patienten typischen Parästhesien reproduzieren. Die Ergebnisse der einzelnen Tests sollten Therapeuten dabei nicht isoliert, sondern in ihrer Gesamtheit in Form eines Testclusters interpretieren.
Überprüfung der Sensibilität (Semmes-Weinstein Test, Zwei-Punkt-Diskrimination)
Überprüfung der Motorik (Flaschenzeichen, Schwäche der Abduktion und Opposition des Daumens)
Evaluation von Alltagseinschränkungen und zur OutcomeMessung: Boston Carpal Tunnel Questionnaire (BCTQ) und Disabilities of Arm, Shoulder and Hand Questionnaire (DASH)
Elektrophysiologische Messung der Nervenleitgeschwindigkeit und Elektromyographie der Daumenballenmuskulatur im Spätstadium
Sonographie
Therapie:
Ärztlich:
Schmerzmedikamente (NSAR)
Injektion von Kortison oder orale Kortisongabe
Operative Retinaculum flexorum-Spaltung
Konservativ/Physiotherapie:
Edukation (Modifikation von provozierenden Haltungen, ergonomische Beratung, Grafomotorikschulung)
Tragen einer Nachtlagerungsschiene (Hand in Neutralstellung)
Manuelle Lymphdrainage bei bestehenden Ödemen
Lokale Ultraschalltherapie, Phonophorese und Interferenzstrom
Manuelle Therapie (Mobilisation der Handwurzelknochen und des Handgelenks)
Weichteiltechniken und Dehnung: Unterarmflexoren und das Retinaculum flexorum sowie im Bereich möglicher Entrapments (Skalenusmuskulatur, M. pectoralis minor, Bicepsaponeurose, M. pronator teres)
Aktive Bewegungsübungen (Kräftigung der Unterarmextensoren)
Nervenmobilisation/Neurodynamische Techniken (Slider- und Tensioner-Techniken in der entsprechenden Position des Upper Limb Neurodynamic Test = ULNT 1 bzw. 2a)
Evidenzbasierte Anmerkungen:
Konservative Maßnahmen (bestehend aus einer Schienenversorgung, Edukation, Manueller Therapie und Bewegungsübungen) sollten immer Vorrang haben
In Bezug auf die genannten Maßnahmen fanden Fernández-de-Las Peñas et al. in ihrer Studie heraus, dass eine Operation zu keinem Zeitpunkt (1, 3, 6, 12 Monate) der Manuellen Therapie (3 Behandlungen zur Desensibilisierung und Neuromobilisation des N. medianus) überlegen war
Auch ein Follow-up nach 4 Jahren konnte zeigen, dass beide Verfahren gleich wirksam sind, darüber hinaus weist die Manuelle Therapie eine höhere Kosteneffektivität auf
Operative Eingriffe sollten bei Patienten nur dann vorgenommen werden, wenn diese eine Atrophie der Thenarmuskulatur aufweisen bzw. bereits erfolglos konservativ therapiert wurden
Quellen:
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Lewis KJ, Coppieters MW, Ross L et al. Group education, night splinting and home exercises reduce conversion to surgery for carpal tunnel syndrome: A multicentre randomised trial. J Physiother 2020; 66(2): 97–104
Fernández-de-Las-Peñas C, Ortega-Santiago R, de la Llave-Rincón AI et al. Manual physical therapy versus surgery for carpal tunnel syndrome: A randomized parallel-group trial. J Pain 2015; 16: 1087–1094
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Shem K, Wong J, Dirlikov B. Effective self-stretching of carpal ligament for the treatment of carpal tunnel syndrome: A double-blinded randomized controlled study. J Hand Ther 2020; 33: 272–280
Paquette P, Higgins J, Gagnon DH. Peripheral and central adaptations after a median nerve neuromobilization program completed by individuals with carpal tunnel syndrome: An exploratory mechanistic study using musculoskeletal ultrasound imaging and transcranial magnetic stimulation. J Manipulative Physiol Ther 2020; 43(6): 566–578
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