= multifaktorielle, chronische, degenerative Gelenkerkrankung.
Geht hervor aus Missverhältnis zwischen Belastung und Belastbarkeit
Betrifft das Knorpelgewebe mit sekundärer Knochenschädigung und einer entzündlich bedingten Schrumpfung der Gelenkkapsel (sh. Kapselmuster)
Meist sind gewichtstragende Gelenke betroffen
Unterscheidung nach:
Stadium: 1. Mangelnde Kongruenz des Gelenks, Belastungsschmerz 2. „Stumme Arthrose“, Bewegungsschmerz, Anlaufschmerz, Risse im Knorpel/ Verhärtung des Knochens im Röntgen sichtbar, Kapselmuster kann schon beginnen 3. Synovialitis, Kepselentzündung, starke Bewegungseinschränkung, Ruheschmerz, Ergüsse im Gelenk, Schwellung 4. Start- Bewegungs- und Ermüdungsschmerz, Ruheschmerz, irreversible Schäden am Gelenk, Kapselschrumpfung und Verhärtung (Kapselmuster!), Muskelatrophie, Gelenkversteifung, Krepitationen
Ursache: - Sekundär (nach Traumata zB) - Primär (idiopathisch, Ursachen nicht genau geklärt; diskutiert werden u.a. auch Genetische Einflüsse)
Ursachen/ begünstigende Faktoren:
Mechanische Einflüsse: Trauma, Übergewicht, Roll- Gleit-Störungen, einseitige Belastung
Biochemische Einflüsse: Säure-Basen-Haushalt, toxische Einflüsse, Medikamente (Cortison!)
Genetische Einflüsse: genetische Predisposition (Verwandte/ Eltern/ Großeltern mit ausgeprägter Arthrose)
Neurophysiologische Einflüsse: Ergotroper (Fight/Flight) Modus, hoher Sympathikustonus, …
Metabolische Einflüsse: „Falsche“ Ernährung, Medikamente…
Weitere Faktoren aus einem „neueren“ Modell der Arthrose:
Lebensphase, Lebensstil, Emotionen, Mental Health, Kognition, Kontext, Bewegungsangst und Vermeidung, Immobilität (!!!)
Hierzu auch beachten: Das biopsychosoziale Modell zu chronischem Schmerz!! (Empfehlung hier: „Schmerzen Verstehen“ von L. Moseley und D. Butler oder der Instagram Account: @physiomeetsscience)
Verhalten im Umgang mit Schmerz (Gedanken, Überzeugungen, Vermeidung von Bewegungen und sozialer Interaktion; Feedback-Schleife des Schmerzerlebens
Progredienz der Arthrose (mechanisch):
Elastizitätsverlusts des hyalinen Knorpels
→ schlechtere Energieabsorption (Stoß-/ Gewichtsimpact)
→ Mikrofrakturen der Knochenstrukturen
→ Spongiosa wird dichter - zu Kompakta
→ noch schlechtere Energieabsorption & Mehrbelastung für den Knorpel
= Degeneration, Verringerung des Gelenkspalts, Anbau von Osteophyten
Symptome/ Auftreten von Arthrose/ Befundrichtlinien:
Schmerz (evtl. abhängig in seinem Auftreten vom Stadium, sh. oben - Schmerz ist kein Beweis für Strukturschaden, dh. unabhängig vom Röntgenbild können Schmerzen gelindert werden, auch wenn die Arthrose an sich nicht verschwindet!)
Schwellung (kann durchgängig auftreten oder verstärkt nach hohen Belastungen)
Bewegungseinschränkungen (Thema: Kapselmuster! Können strukturell bedingt sein, oder schmerzbedingt, oder aufgrund von Vermeidung/ Ängsten)
Muskuläre Dysbalancen (typischer Begriff der im Staatsexamen fällt, am besten genauer beschreiben je nach Befund)
Zunehmende Deformierung des Gelenks
Krepitationen
multifaktoriell/ Erleben, Verhalten/ Kontextfaktoren: - Schmerzbezogene Ängste, Depressionen, mentale Erkrankungen - Immobilität: Pat. Vermeiden Bewegungen, die weh tun oder die eventuell schmerzen könnten; teilweise aber auch immobile Patienten, die sich "noch nie" mehr bewegt haben - Isolation, wenig soziales Umfeld/ Unwohlsein im sozialen Umfeld - Schlafstörungen (!!!) - Katastrophisierung (Krankheitsbild wird als schlimmer empfunden, als es objektiv ist) - Stress/ „schlechte“ Coping Mechanismen
Nebenerkrankungen, Übergewicht, Fatigue, …
PT Ziele:
Schmerzen lindern
Arthrotische Gelenke entlasten (zB. Übergewicht verringern)
Beweglichkeit erhalten
Bewegungsabläufe ökonomisieren
Stabilität und Koordination verbessern, der betroffenen und benachbarten Gelenke
Selbstständigkeit fördern und erhalten
Umgang mit Hilfs- und Fortbewegungsmitteln üben
Sicherheit bei ADL Aktivitäten/ Gangsicherheit/ Treppen/ Aufstehen vom Boden üben
Ärztliche Therapie (in Klammern) und PT-Behandlung:
An erster Stelle: Edukation/ Aufklärung MTT/ KG ADL Schulung Gewichtsmanagement
Zweiter Ordnung: (Hilfsmittel Versorgung, Medikamente: v.a. Schmerzmittel) Passive Maßnahmen
Dritter Ordnung: (Gelenkersatz) → Nachbehandlung dann sh. Chirurgie
PT: Maßnahmen:
Edukation: über die Psychologie und Physiologie von chronischen Schmerzen → nicht immer muss die Abnutzung auch die Ursache für den Schmerz sein! Jeder 80 Jährige hat Abnutzung des hyalinen Knorpels, aber nicht jeder hat auch Gelenkbeschwerden! Im MRT kann auch nicht gesehen werden ob das was zu sehen ist, auch die Schmerzursache ist. Viele Patienten, die keine Schmerzen/Beschwerden haben, haben trotzdem sichtbare Abnutzung der Gelenkflächen, verminderte Gelenkspalte und Anomalien der Bandscheiben. Die Ursache des Schmerzes muss also multifaktoriell betrachtet und befundet werden und demnach auch behandelt.
MTT/KG: Die Schmerzintensität kann durch Training deutlich reduziert werden; Beinachsentraining (für ökonomischere Belastung), Muskelaufbau (für bessere Kraftverteilung),
Körperfettreduktion für weniger Gelenkbelastung (dafür brauchen wir Motivation und müssen dem Patienten helfen Angst vor Schmerz und Bewegung zu reduzieren und Spaß an Bewegung für sich zu entdecken) → Das beste Sportprogramm ist das, was der Patient gern hat und TATSÄCHLICH durchführt!
ADL Schulung: Alltagsbewegungen mit Hilfe von zB. PNF und KG so optimieren, das die Belastung für das betroffene Gelenk optimiert wird.
Hilfsmittel anpassen: Gehhilfen und Einlagen usw: Aufklärung, Gewöhnung ermöglichen und Umgang schulen
Passive Maßnahmen: zB Traktion (MT) und manual-therapeutisches Gleiten/Rollen in die eingeschränkte Bewegung um Schrumpfen der Kapsel zu verhindern/ wenigstens positiv zu beeinflussen;
ET: Schmerzen reduzieren um danach Bewegung zu ermöglichen
Alle passiven Maßnahmen sind nur Begleittherapien! Im Staatsexamen sind gefragte Techniken zB: MT: Traktion (haltend, intermettierend, vibrierend), ET (Ultraschall, Galvanik,...), KMT: Detonisierung der umliegenden Strukturen (danach dann MT Mobilisation der Gelenkpartner und zum Schluss Tonisierung über Übungen)
Best Practice Herangehensweise:
(1. Alt A, Herbst M, Reis J. Physiotherapie Grundlagen. 2nd ed.; 2018.)
Screening:
Beim Screening gilt es Risiken und Red Flags herauszufiltern. Man könnte hierzu beispielsweise Fragebögen mitgeben, wenn der Patient sein Rezept abgibt und diese zur Befundaufnahme/ ersten Behandlung wieder mitbringen lassen um Zeit zu sparen. Oder man integriert diese Fragen in Befundbögen/ das individuelle Anamnesegespräch.
Screening-Fragen:
Zeitnahes Trauma? Unerklärliches, anhaltendes Fieber? Unerklärlicher Gewichtsverlust?
Langfristige Einnahme von Kortikosteroiden? Andauernde Schmerzen, die auch in Ruhe oder bei ASTE-Wechsel nicht abnehmen? Allgemeines Unwohlsein? Krebserkrankungen in der Vergangenheit? Ausgeprägte neurologische Auffälligkeiten? ...
→ Wenn auf eine dieser Fragen mit "ja" geantwortet wird, heißt das nicht automatisch, dass eine Red Flag vorhanden ist. Sollten mehrere Fragen mit "ja" beantwortet worden sein, kann es angemessen sein, diese vom Arzt weiter abklären zu lassen, bevor man mit der Behandlung beginnt. Für Azubis gilt zumindest diese dann nochmal mit dem zuständigen Mentor abzuklären!
Als nächstes Folgen SAFETY-Tests:
Je nach Gelenk unterschiedlich! Es lohnt sich, für jedes Gelenk mehrere Tests parat zu haben, www.physiotutors.com bietet verschiedene E-Books, Bücher, Kurse und Videos an zu sämtlichen Tests inklusive ihrer Evidenz! Nicht jeder Test der "logisch" erscheint, ist auch valide und reliabel!
Hierzu kommt hoffentlich in den kommenden Monaten eine Review zum PhysioTutors Buch, ich warte damit jedoch noch bis es auf deutsch erscheint, damit möglichst viele Leute davon profitieren können. :)
Dann der Befund:
Nach ICF-Modell: In der Praxis wird zwar nach Aktivitäten und Partizipation gefragt, aber die Behandlung meist nicht danach ausgerichtet. Dabei sind die meisten Patienten dort ja eingeschränkt, nicht vorrangig "strukturell". Ein Patient möchte wieder mit seinen Enkeln spielen oder den Alltag möglichst selbstständig bewältigen, die wenigsten haben Interesse dafür wie "ausgefranst" ein hyaliner Knorpel jetzt ist. Achtung: DIMs/SIMs und Nocebos!!
Ein Beispiel aus einem Befund in einem meiner Praktika. Das folgende sind anonyme Aussagen eines Patienten Mitte 70, der Beschwerden mit Kniearthrose (schleichend begonnen, aber seit Jahren) und NLBP (seit ca. 10 Jahren, vor 4 Jahren wurde im MRT ein kleiner Bandscheibenvorfall festgestellt) hat: "Beim Rücken ist alles schon so dicht aufeinander."
"Knochen auf Knochen" "Alles abgenutzt, ist halt schon alles pfutsch." "Man läuft ja wahrscheinlich auch immer verkehrt und dann tut das weh." "Der [PT] meinte auch mein Becken ist schief, aber das hat der dann wieder gerade gebogen, die beiden Seiten."
Bei solchen Aussagen sollte man aufhorchen und schauen ob man nicht erstmal ein ganz anderes Bild vom eigenen Körper schulen kann, mehr SIMs (Safety-in-me → dazu kommt demnächst auch ein kurzer Blogpost) integrieren und zeigen, was der Körper alles kann.
Behandlung:
→ Aufklärung über Möglichkeiten der De- und Regeneration und die Einflüsse darauf (positiv und negativ)
→ Aufklärung über Prognose: realistisch, inklusive Kompensationsmöglichkeiten etc. Keine Heilversprechen! Trotzdem keine Angst schüren! DIMs und Nocebos vermeiden, positive Sprache wählen.
→ Wichtigkeit der Selbstwirksamkeit aufzeigen. Physiotherapie ist keine Tablette, die man 6x nimmt und danach ist alles heile! Rehabilitationsdauer und Nachhaltigkeit ist abhängig von selbstständiger Arbeit des Patienten und die Adhärenz & Compliance ist vom PT beeinflussbar: Freude an Bewegung schulen, Home-Übungsprogramm erstellen, dass auf den Patienten zugeschnitten ist, und Alltagsbewegungen erleichtert.
→ Graded Activity: Belastung progressiv steigern (Trainingslehre! Wird meistens vernachlässigt oder ganz weggelassen!), und nicht nur von 1kg auf 5kg, wenn ein Patient auf Arbeit regelmäßig >40kg heben muss, dann muss auch bis dahin trainiert werden, sowohl zu Hause, als auch in der Therapie!
→ Aufklären über Einfluss von Inaktivität, Schlafmangel, Stress (psychisch und physisch), Ernährung, etc!
→ Vermeiden von vorrangig passiven Behandlungsmaßnahmen. Diese können eingesetzt werden, das jedoch im besten Fall dosiert und sollten regelmäßig hinterfragt werden. Sie können genutzt werden um den Patienten "abzuholen", aber in Maßen und nicht unnötig. MT, sowie auch ET, Ultraschall, K-Taping usw. sind ergänzende Therapiemaßnahmen!
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